B. Schöller, Wissen speichern, Wissen ordnen, Wissen übertragen

Cover
Titel
Wissen speichern, Wissen ordnen, Wissen übertragen. Schriftliehe und bildlicheAufzeichnungen der Welt im Umfeld der Londoner Psalterkarte


Autor(en)
Schöller, Bettina
Reihe
Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 32
Erschienen
Zürich 2015: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Gerda Brunnlechner, Historisches Institut, Geschichte und Gegenwart Alteuropas, FernUni Hagen

Seit einiger Zeit hat sich der Schwerpunkt kartografiegeschichtlicher Forschung vom geografischen Befund auf das Verhältnis von Text und Bild und damit auf die vielschichtigen Inhalte und Bedeutungsebenen der mittelalterlichen Weltkarten verschoben, so dass diese heute als Repräsentationen eines heilsgeschichtlieh konnotierten, Raum und Zeit verschmelzenden Weltbildes gelten. Bettina Schöller untersucht die beiden kleinformatigen englischen Psalterkarten (nach 1262, einem Psaltertext vorangestellt) und stellt dabei die Frage nach der medialen Verarbeitung von Wissen am Beispiel dieser Karten und ihrer textlichen und bildliehen Quellen ins Zentrum ihrer 2012 von der Universität Zürich angenommenen Dissertation (S. 37). Darin legt sie eine vollständige und verbesserte Transkription beider Psalterkarten unter Vergleich mit Karten und geografischen Texten der Zeit vor sowie eine erstmalige Transkription der Lambethkarte (nach 1253, eingebettet in iïwforâ Br/ttonaw), der sie die Marginalinschriften der kodikologisch benachharten Abschrift der Zrango Mimdi gegenüberstellt. Transkriptionen und Vergleiche präsentiert sie in übersichtlichen Tabellen, was zusammen mit 33 Abbildungen dem Leser einen hilfreichen Referenzapparat an die Hand gibt.

Das Buch ist in drei Teile strukturiert, die sich mit der Speicherung, der Ordnung und dem Übertragen von Wissen mittels Karten und geografischer Texte beschäftigen. Im ersten Teil stellt die Autorin die beiden Psalterkarten und die sie beinhaltende Handschrift vor. Die beiden Karten dienen dem Psalter als Prolog und teilen sich ein Folio: recto eine detaillierte Weltkarte, verso eine Listenkarte, beide jeweils in einen christologischen Rahmen eingebettet. Die Psalterkarte recto identifiziert sie trotz ihres geringen Durchmessers von neun Zentimetern zutreffend als enzyklopädische Weltkarte analog weit grösserer Karten, wie der Weltkarten von Ebstorf und Hereford (S. 32). Dabei wendet sie sich zu Recht gegen die Interpretation dieser Karte als kleinformatige Kopie einer Grosskarte (S. 35).

Im zweiten Teil fragt Schöller nach der Ordnung der gespeicherten Informationen. Dabei vergleicht sie die Psalterkarte recto vorrangig mit der Hugo von St. Victor (f1141) zugeschriebenen geografischen Erdbeschreibung Descriptio Mappe Mandl, aber auch mit weiteren massgeblichen Texten, Bildern und Karten. So identifiziert sie überzeugend die illustrierte nordfranzösische Mirabilia mundi (1277) als Quelle der Psalterkarte recto (S. 115-116). Im Zusammenspiel der Kartenbilder der Psalterkarten, ihrer Rahmungen und des Psaltertextes samt Illustrationen erkennt sie ein auf Versuchung und der Frage nach Rettung oder Verderbnis fokussiertes, heilsgeschichtliches Programm, das den gesamten Psalter unter das Leitmotiv des Schutzes Gottes stellt (S. 125-126). Zudem schlägt sie noch interessante Deutungen für die Hereford- und die Ebstorfer Karte vor (S. 127-144). Schöllers schlüssige heilsgeschichtliche Deutung der Psalterkarte recto wäre noch erweiterbar, wenn man die durchaus auffallend gestaltete, wenn auch nicht explizit mit Endzeitvölkern bevölkerte Kaspische Pforte in Nordostasien und ihr grafisches Gegenstück, die Pforte in der Mauer um die Nilquellen in Afrika, mit einbezöge. Beide liegen auf dem von Schöller konstruierten grafischen System und können Anfang - der Nil als Paradiesfluss - und Ende der irdischen Welt bezeichnen. Nicht ganz klar wird allerdings, woran Schöller die Feststellung festmacht, dass auf der Psalterkarte recto Afrika durch das Rote Meer von Asien getrennt würde und nicht, wie in Texten üblich, vom Nil (S. 97). Diskutiert wird das Thema auf der Karte nicht, und die von Schöller vorgenommene Unterscheidung, je nach Flussrichtung des Nils, scheint sehr modern gedacht. Vermutlich war die Sachlage auch auf Karten nicht klar entschieden, zumindest drängt sich der Gedanke anhand späterer Karten auf, die Afrika am Nil beginnen lassen oder Lösungsvorschläge für die Frage bieten (Dalorto 1325/30, Modena-Estense-Weltkarte, Fra-Mauro-Weltkarte, beide Mitte 15. Jh.). Aus dem Vergleich von Texten und Karten zieht Schöller den Schluss, dass die Texte eine rein geografische Ordnung abbildeten, die Karten dagegen einer vom Autor bewusst gewählten, durch Kompilierung und Neuordnung vorhandenen Wissens ausgestalteten heilsgeschichtlichen Konzeption entsprächen (S. 144). Es stellt sich die Frage, ob dieser Schluss trägt. Zielführender könnte die Annahme sein, dass Texte und Karten auf der gleichen heilsgeschichtlich konnotierten Geografie basieren, diese aber nach unterschiedliehen Ordnungssystemen strukturieren. Denn Heilsgeschichte findet sich in Form entsprechender Orte auch in den geografischen Texten, nur eben nicht - wie auf den Weltkarten - auf bestimmte Aussagezusammenhänge hin akzentuiert.

Der dritte Teil weist anhand der Psalterkarten und der Lambethkarte nach, dass detaillierte Karten auch auf geografischen Texten basieren können, eine Annahme, über die zwar heute Einigkeit besteht, wie Schöller selbst feststellt (S. 184), aber Mehrwert durch die Prüfung am Einzelfall verspricht. Sie kann zeigen, dass die Dascnpf/o sehr wahrscheinlich als Quelle für die Psalterkarte recto diente (S. 199), und verdeutlichen, wie auf der Lambethkarte die Texte aus deren kodikologischer Umgebung neu geordnet zusammenspielen (S. 222-223).

Insgesamt kann Schöller nicht nur plausibel darlegen, dass detaillierte Karten auf einer Vielzahl von bildlichen, textlichen und kartografischen Quellen beruhen, worüber Konsens besteht, sondern vor allem das Zusammenspiel von Quellen und Karte genauer beleuchten und so die Forschung zur Wissensübertragung voranbringen. Sie zeigt auf, dass sich die vielschichtigen Bedeutungsebenen von Karten erst im Zusammenspiel mit ihrem kodikologischen Umfeld und ihren Quellen umfänglich erschliessen, was die Weltkarten als bewusst gestaltete, dabei kontextabhängige Produkte ihrer Zeit präsentiert. Nicht zuletzt ist der reiche Referenzapparat zu den Psalterkarten und zur Lambethkarte von grundlegendem Wert.

Zitierweise:
Gerda Brunnlechner: Rezension zu: Bettina Schöller, Wissen speichern, Wissen ordnen, Wissen übertragen. Schriftliehe und bildliche Aufzeichnungen der Welt im Umfeld der Londoner Psalterkarte, Zürich: Chronos Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 2, 2016, S. 334-336.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 2, 2016, S. 334-336.

Weitere Informationen